Allein unterwegs

Allein unterwegs (Foto)

In nicht allzu ferner Zukunft wird Audi Fahrzeuge anbieten, die ohne Zutun des Fahrers durch Staus manövrieren und selbständig in enge Parkhäuser fahren. Es geht um „Vorsprung durch Technik“. Dafür forscht das Unternehmen im Silicon Valley am pilotierten Fahren – und zwar dort, wo es am schwierigsten ist: im dichten Straßenverkehr.

Der Verkehr auf urbanen Bereich (Foto)

Leichte Last: Nicht größer als ein Laptop ist heute die Hardware für die enorme Rechenpower, die das pilotierte Fahren möglich macht. Zudem bereitet eine neuartige Architektur den Weg zum automatisierten Fahren: Dessen „Intelligenz“ sitzt in einem zentralen Fahrerassistenzsteuergerät (zFAS) – dieses ist vergleichbar mit der Größe eines iPads.

Pilotiertes Fahren

In einem Forschungsfahrzeug auf Basis des Audi A7 Sportback1 ist die Vision des Fahrens ohne Fahrer bereits Realität geworden.

FRONT-KAMERA
Schwarzweiß- und Farbkamera: Herzstück der Sensorik des pilotierten Fahrens. Erkennt z. B. Ampeln und Verkehrsschilder.

TOP-VIEW-KAMERA
Generiert aus den Bildern der Kameras in Kühlergrill, Seitenspiegel und Heck eine Sicht auf den Nahbereich um das Fahrzeug.

LASERSCANNER
Überwachen die Fahrspuren nach vorn und hinten, erkennen statische und dynamische Objekte und unterstützen beim Spurwechsel.

RADARSENSOREN
Vorn: Halten den Abstand zu Querverkehr und Naheinscherern. Sie können auch durch Nebel „sehen“. Hinten: Unterstützen Spurwechselassistent und Totwinkel-Erkennung.

ULTRASCHALLSENSOREN
Befinden sich vorn, hinten und seitlich am Fahrzeug und erzeugen die erforderliche Rundumsicht beim pilotierten Einparken.

Die Hände fest am Lenkrad, biegt Jörg Schlinkheider auf den Twin Dolphin Drive im kalifornischen Belmont ein. Plötzlich signalisiert ein in die Mittelkonsole integrierter Bildschirm: Das Auto kann jetzt übernehmen. Schlinkheider, der mit seinem Team für Audi im konzerneigenen Electronics Research Laboratory (ERL) an den Fahrerassistenzsystemen der Zukunft forscht, drückt zwei Knöpfe auf den unteren Lenkradspeichen. Jetzt ist der A7 Sportback Prototyp „allein“ unterwegs – der Fahrer kann sich entspannt zurücklehnen: Das Lenkrad wird automatisch nach vorn gefahren, der Drei-Liter-Kompressor beschleunigt das Fahrzeug, das sauber die Spur hält. Vor roten Ampeln und Hindernissen bremst die Limousine sanft und kommt rechtzeitig zum Stehen.

Der Fahrer hat derweil Zeit für anderes: Der Zentralbildschirm bietet ihm an, die Telefonfunktion zu nutzen, Textnachrichten zu versenden oder im Internet zu surfen. Bald wird der Fahrer mit den Bordmitteln des Fahrzeugs auch an Videokonferenzen teilnehmen können.

Der Verkehr im urbanen Bereich ist
technisch die größte Herausforderung für
moderne Fahrerassistenzsysteme.

Willkommen in der Zukunft des pilotierten Fahrens, die mit diesem Audi Forschungsfahrzeug bereits Wirklichkeit geworden ist. Dabei sieht man dem selbstfahrenden A7 Sportback seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zunächst gar nicht an: die Zusatzkameras, die Radar- und Ultraschallsensoren sowie die Laserscanner, die wie elektronische Augen das Fahrzeugumfeld permanent überwachen. Alle Sensoren sind perfekt und kaum sichtbar im Fahrzeug integriert. Die mit ihrer Hilfe gewonnenen Daten werden in einem zentralen Prozessor zusammengeführt und in Echtzeit verarbeitet. Das Ziel der Entwickler: Wo heute für die Navigation noch Satellitendaten notwendig sind, die via GPS übermittelt werden, sollen in Zukunft die gesammelten Daten der Wagensensoren ausreichen. Auf ihrer Basis findet das Auto seinen Weg ans Ziel und leitet selbständig alle Fahrmanöver ein, allerdings ohne den Fahrer letztendlich aus der Verantwortung zu entlassen.

Welchen Vorsprung Audi sich beim pilotierten Fahren bereits erarbeitet hat, zeigt sich an der Testumgebung: Längst sind die Prototypen nicht mehr nur auf Autobahnen und Landstraßen, sondern auch im dichten Stadtverkehr unterwegs: „Das urbane Umfeld ist technisch die größte Herausforderung“, so Schlinkheider. Um diese zu meistern, arbeitet er mit Experten aus der IT-Industrie und mit kreativen Start-up-Unternehmen im Silicon Valley zusammen.

„Pilotiertes Fahren soll zur Kernkompetenz von Audi werden“, erläutert Thomas Müller, der bei Audi in Ingolstadt das Gesamtprojekt verantwortet. „Wir verwenden bewusst diesen Begriff, weil wir glauben, dass Menschen auch in Zukunft in vielen Situationen selbst fahren wollen.“ Dennoch soll der Fahrer immer dann entlastet werden, wenn das Autofahren sinnvoll unterstützt werden kann. Nicht nur beim Manövrieren auf engen Parkplätzen oder im Parkhaus, sondern auch im stockenden Verkehr auf Autobahnen. Noch in diesem Jahrzehnt, so Müller, könnten solche revolutionären Funktionen in Serie gehen. Auf dem Weg zum pilotierten Fahren gilt es aber auch, gemeinsam mit Politik und Versicherungen die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die nicht technischer Natur sind.

Bis sich ein Serienfahrzeug völlig selbständig den Weg durch dichten Innenstadtverkehr bahnt, wird es deshalb noch Jahre dauern. Umso intensiver erforschen die Audi Entwickler Anwendungen, die den Fortschritt unterstützen. „Wir lernen permanent dazu“, sagt Schlinkheider. „Nur so erreichen wir Dinge, die heute noch unmöglich scheinen.“

Noch gibt es in Kalifornien nur wenige öffentliche Straßen, auf denen der Prototyp erprobt wird. Nähert sich der A7 Sportback dem Ende der Teststrecke, fährt das Lenkrad wieder in seine ursprüngliche Position. Schlinkheider wird per Warnton aufgefordert, die Kontrolle zu übernehmen. Künftig wird dies seltener geschehen. Denn dann dürfen die Audi Prototypen im gesamten Bundesstaat Kalifornien „pilotieren“.

Das Auto „allein“ unterwegs – Entspannung für den Fahrer

Audi Forschungsfahrzeug A7 Sportback (Foto)

Vielfahrer: Audi Forschungsfahrzeug A7 Sportback

1 Audi A7 Sportback Kraftstoffverbrauch in l/100 km kombiniert von 8,2 bis 5,1; CO2-Emissionen in g/km kombiniert von 190 bis 135.

TEXT
Jens Meiners

FOTOGRAFIE
Matthias Haslauer